Die Grünen im Bayerischen Landtag

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14. September 2009

Spaenle im Praxistest

Grüner Ausblick auf das neue Schuljahr

Das neue Schuljahr steht vor der Tür und Kultusminister Spaenle hat Bayerns Schülerinnen und Schülern jede Menge wolkiger Reförmchen in die Schultüte gepackt. Gelenkklasse, Kooperationsmodelle, Mittelschule, jetzt auch noch die individuelle Grundschulzeit – anstatt endlich die offensichtlichen Strukturprobleme in der bayerischen Bildungspolitik anzupacken, geht das Herumdoktern an einem überkommenen System munter weiter.

Die Grünen haben zum bevorstehenden ersten Schultag Spaenles Reförmchen auf den Prüfstand gestellt.

"Zügiger Ausbau der Ganztagsschule":

Nach dem so genannten Bildungsgipfel im Februar, bei dem die Staatsregierung und die kommunalen Spitzenverbände einen neuen Modus zur Finanzierung der Ganztagsschulen vereinbart hatten, wurden zum neuen Schuljahr zum ersten Mal die Ganztagszüge in offenen und gebundener Form nach dem neuen Modell genehmigt. Laut Koalitionsvertrag sollen die Ganztagsangebote ausgebaut werden.

Bayern liegt – im Ländervergleich in puncto Ganztagesangebote abgeschlagen auf dem letzten Platz mit einem Anteil der SchülerInnen im Ganztagsbetrieb von 3,5% (zum Vgl. Baden-Württemberg 11,9 %, NRW 20,4 und Sachsen 46,8%, Quelle: Bayerischer Sozialbericht). Der Anstieg der "Ganztagsgruppen" um 30% ist daher als holpriger Aufstieg aus tiefem Tal zu bezeichnen, tatsächlich erhöht sich die Zahl der Schülerinnen und Schüler mit Ganztagsangebot  auf ca. 4,8 %. 

Stolpersteine beim Ausbau der Ganztagsschulen

  • Die zunächst vom Ministerium geschürten Hoffnungen, dass auch Nachmeldungen nach dem 10. Juli 09 (Fristverlängerung bis 27.07.09) berücksichtigt werden können, wurden enttäuscht. Der Topf des Ministeriums war leer.
  • Es ist nicht vermittelbar, dass das Nachmittagsangebot an Hauptschulen (offene Ganztagsschule) für Eltern kostenfrei ist, an Grundschulen (erweiterte Mittagsbetreuung) aber Gebühren fällig sind. 
  • Die Zuweisung von 12 Lehrerstellen für gebundene Ganztagsschulen bzw. von entsprechenden Geldmitteln (Lehrerstellenäquvialenten) für Grund-, Haupt- und Förderschulen sowie von 8 Lehrerstellen bzw. Lehrerstellenäquivalenten für Real-Wirtschaftsschulen und Gymnasien ist zu knapp bemessen. Die Schulen im Modellversuch in Zusammenarbeit mit der bayerischen Wirtschaft bekamen noch 19 Lehrerstunden.
  • Mit dem neuen Finanzierungsmodell kommen Kommunen mit offenen Ganztagsschulgruppen besser weg als Kommunen mit gebundenen Ganztagsklassen. Vom sog. Bildungsgipfel geht also kein Schub für die pädagogisch notwendigen gebundenen Ganztagsschulen aus.
  • Aufgrund des Verbots der "Klassenmehrung" können gerade an Grundschulen gebundene Ganztagsklassen trotz der ausreichenden Zahl gemeldeter Schüler nicht gebildet werden, da dies aufgrund des Klassenteilers eine zusätzliche Halbtagesklasse zur Folge hätte. Dafür sind aber keine Lehrer vorgesehen.
  • Die "Alternative" ist, dass es in der Halbtagesklasse zu großen Klassen mit über 30, teilweise sogar über 35 Schüler kommt. 
  • Mit der Verlagerung der Verantwortung von den Kommunen auf den Staat ist der bürokratische Aufwand erheblich gestiegen. Allein der Umfang des Informationsschreibens an die Schulen zu den Förderrichtlinien beträgt samt Anlagen 90 Seiten.
  • Die Belastung für die Schulleiter/innen, die u.a. für die Verträge mit den Kooperationspartnern und die Auswahl des Personals zuständig sind, steigt.

 

Grüne Forderungen zum Ausbau der Ganztagsschulen:

  • Verstärkter Ausbau von gebundenen Ganztagsschulklassen
  • Keine Konkurrenz um Ressourcen zwischen Ganztagesklassen und Halbtagesklassen,
  • Pädagogische Qualität gewährleisten,
  • Entlastung der Schulleitungen durch Stundenreduktion und zusätzliches Verwaltungspersonal
  • Räumliche Bedingungen für ganztägiges und abwechslungsreiches Lernen verbessern,
  • Weitere Aufstockung der finanziellen Mittel

 

"Kooperationsmodell"

Kultusminister Spaenle will angesichts des Schülerrückgangs im ländlichen Raum wohnortnahe Schulstandorte halten und dafür eine engere Zusammenarbeit von Haupt- und Realschulen – "damit Familien dort wohnen und nicht alles Nationalpark werde".

Mit den im Koalitionsvertrag angekündigten Kooperationsmodellen verbanden viele Kommunen (Bürgermeister, Schulleiter, Eltern) die Hoffnung, gefährdete Hauptschulstandorte im ländlichen Raum sichern zu können. Sie entwickelten den örtlichen Verhältnissen und Bedürfnissen angepasste Modelle

Doch die Kriterien des Modellversuches Kooperationsschulen bieten keine Lösungen für die Hauptschulen im ländlichen Raum. Keines der vor Ort entwickelten Modelle, die etwa einen Realschulzweig an einer Hauptschule vorsehen, hat bei diesen Vorgaben eine Chance. Und unsere Kritik, dass im ländlichen Raum bei räumlich weit entfernten Standorten von Haupt- und Realschulen die Kooperation im Sinne des Kultusministeriums wenig Sinn macht und praxisuntauglich ist, hat sich bestätigt:

Ohne Vorbehalt genehmigt wurden 10 Modelle – alle mit Realschule und Hauptschule am gleichen Ort. Unter Vorbehalt wurden 3 Modelle genehmigt, die die Gründung einer neuen Realschule neben einer Hauptschule vorsehen. Und die Kooperation einer Haupt- und Realschule in München. Lediglich unter den zurückgestellten Modellen finden sich 5 Modelle, wo sich Haupt- und Realschule in unterschiedlichen Orten befinden. Dazu kommen 25 Modelle, die im Sinne der Ausschreibung nicht "genehmigungsfähig" waren. Sowie eine unbekannte Zahl von Modellen, die angesichts der Ausschreibungsunterlagen auf eine Bewerbung verzichtet haben.

Fazit:

Die Kooperationsmodelle bieten keine Lösungen für die gefährdeten Schulstandorte im ländlichen Raum und gewährleisten kein wohnortnahes Schulangebot, weil sie eben nicht bessere Bildung und nicht die von den Eltern nachgefragten schulische Abschlüsse und Anschlüsse aufs Land bringen.

Der gemeinsame Unterricht von Haupt- und Realschulen ist nicht Gegenstand der Ausschreibung. Er ist theoretisch möglich, wie die FDP betont, aber er ist vom Minister nicht gewollt. Die Nennung der Kooperationsmodelle im Koalitionsvertrag hat gewisse Hoffnungen auf die Beweglichkeit der bayerischen Bildungspolitik im ländlichen Raum geweckt. Diese Hoffnungen sind enttäuscht worden.

Wir Grüne fordern die Genehmigung und Unterstützung für Schulmodelle, die passgenau für die örtlichen Verhältnisse Wege zum mittleren Abschluss bieten, wie auch längeres gemeinsames Lernen zulassen. Dabei ist eine Vielfalt an Modellen gewünscht. Die Modelle werden wissenschaftlich begleitet und evaluiert.

 

"Mittelschule mit intelligenter Vernetzung"

Die "intelligente Vernetzung" von Hauptschulen zu "Mittelschulen" soll nun die Rettung der Hauptschulen bringen. Tatsächlich stellt die "Mittelschule" nur eine Umetikettierung der Hauptschule dar und die "intelligente Vernetzung" negiert die Gegebenheiten im ländlichen Raum.

  • -         Keines der Instrumente zur Aufwertung der Hauptschule ist neu. Berufsorientierung, starker Praxisbezug, Modularisierung gibt es schon und ist z.T. aufgrund fehlender Unterstützung und Mittel wieder zurückgefahren worden.
  • -         Die Vorgabe von 300 SchülerInnen für eine Mittelschule wird die Unterscheidung von Hauptschulstandorten mit und ohne Zukunft zur Folge haben.
  • -         Die Vernetzung von Standorten wird zu einer vermehrten "Reisetätigkeit" der Schüler und zu mehr Schulbusverkehr führen.
  • -         Der M-Abschluss an der Haupt/Mittelschule wird nicht auf mehr Akzeptanz bei Eltern und Arbeitgebern stoßen
  • -         Für die Dialogforen sind die "Leitplanken" so eng gesetzt, dass kreative Lösungen vor Ort nicht diskutierbar sind und nicht umgesetzt werden können. Es wird lediglich zum Gezerre um die zukunftsfähigen Standorte kommen.
  • -         Faktisch ist so der Weg zur Mittelschule ein Standortaufgabekonzept, bei dem der "Schwarze Peter" der Standortschließung nach unten verlagert wird.

Wir Grüne fordern den Ausbau von Hauptschulen zu Gemeinschaftsschulen, die alle Bildungsabschlüsse und – anschlüsse anbieten.

 

"Sitzenbleiben abschaffen"         

Leider will Kultusminister Spaenle trotz anderslautender Äußerungen das Sitzenbleiben nicht abschaffen. Er will lediglich, dass das Sitzenbleiben in Klasse eins und zwei nicht mehr als Sitzenbleiben zählt. Bayern hat nach wie vor, die im bundesweiten Vergleich höchsten "Wiederholerquoten".

Das Wiederholen einer Klasse:

  • -         stellt eine "Vergeudung von Lebenszeit" junger Menschen dar,
  • -         kostet erhebliche Ressourcen. Nach einer Studie von Prof. Klemm für die Bertelsmann Stiftung kostet das "Sitzenbleiben" den Freistaat Bayern jährlich knapp 196 Mio. Euro
  • -         ist als Instrument der pädagogischen Förderung wenig effektiv
  • -         ist als Druckmittel für Schülerleistungen ein pädagogisches Armutszeugnis
  • -         hat sozialen Ursachen: laut dem bayerischen Sozialbericht wiederholen in der Grundschule Kinder mit ausländischer Staatsangehörigkeit viermal so häufig eine Klasse wie ihre deutschen Mitschülerinnen und Mitschüler, in Haupt- und Realschulen doppelt so häufig und in Gymnasien mehr als doppelt so oft.
  • -         Die Wiederholerquote für Jungen ist an Grund- und Hauptschulen um 20 %, an Realschulen um 27 % und an Gymnasien um 34% höher als bei den Mädchen.
  • -         Angestiegen sind die freiwilligen Wiederholungen in der Jahrgangsstufe 9 in der Hauptschule, sie betragen fast 12% und sind mit Abstand "Spitze" in Deutschland. Dieses freiwillige Sitzenbleiben ist Folge der Chancenlosigkeit nach Ende der Klasse neun, einen Übergang in die Ausbildung zu finden. Deshalb versuchen die SchülerInnen durch freiwilliges Sitzenbleiben ihre Chancen auf einen Abschluss, einen besseren Abschluss und eine Lehrstelle zu verbessern.
  • -         Die Zunahme der Wiederholerquote in der 5. und 6. Klasse Realschule und der 6. Klasse Gymnasium sind auf die Probleme der Übertritts an die weiterführenden Schulen zurück zuführen.
  • -         Am höchsten sind die Wiederholerquoten in allen Schularten in den Klassen 7,8,9, - also in dem Alter in dem Jugendliche in der Pubertät  sind.

 

Grüne Forderungen:

  • -         Rechtzeitige individuelle Förderung statt Sitzenbleiben
  • -         Verwendung der für Wiederholung rechnerisch notwendigen Ressourcen für individuelle Förderung wie Förderstunden, Tutorien, Lerncoaching für SchülerInnen mit Lernrückständen und Leistungsproblemen
  • -         Anschlüsse und Übergänge für Schulabgänger schaffen,
  • -         kein freiwilliges zusätzliches Schuljahr ohne gezielte Förderung und Weiterqualifizierung
  • -         Längeres gemeinsames Lernen und individuelle Förderung

 

Thomas Gehring, MdL, schulpolitischer Sprecher

Zusätzliche Information

Thomas Gehring, MdL