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                                                                                                            Sennfeld, den 29. 01. 2016

 

An die bündnisgrüne Bundestagsfraktion

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

mit Besorgnis nehmen wir zur Kenntnis, dass sich in Deutschland auf politischer Ebene und auch in der Bevölkerung zunehmend die Ansicht verbreitet, dass Deutschland im Krieg gegen den IS nicht abseits stehen dürfe und dass der IS-Terror nur mit kriegerischen Mitteln zu stoppen sei.

Wir, Mitglieder des Ortsverbandes Bündnis 90/Die GRÜNEN Sennfeld, sind froh, dass eine große Mehrheit der grünen Bundestagsabgeordneten bei der Abstimmung im Bundestag zum Thema Luftangriffe gegen den IS mit NEIN gestimmt hat. Wir hoffen, dass die Bündnisgrünen  von dieser Haltung nicht abrücken. Dabei geht es nicht um Prinzipientreue sondern darum, Fakten zu betrachten und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.

„Der Krieg als Nährboden des IS“, so lautete die Überschrift eines Artikel am 14. Dezember 2015 im Schweinfurter Tagblatt. Klar nimmt UN-Korrespondent Andreas Zumach in einem Interview Stellung. Zumach, dem 2009 der Friedensnobelpreis verliehen wurde, thematisiert Fakten, die in der öffentlichen Debatte viel zu wenig Beachtung finden.

Seit dem 11. September 2001 wurde versucht, in Afghanistan den Terrorismus mit militärischen Mitteln zu bekämpfen. Das Ergebnis ist niederschmetternd: Nicht das Ende des Terrors, sondern eine Zunahme von terrorbereiten Gruppen und Kämpfern wurde erreicht und viele Menschen aus Afghanistan verlassen heute ihr Land, weil sie um ihr Leben fürchten oder für sich keinerlei Lebensperspektiven mehr erkennen können.

Der Krieg in Afghanistan hat sich inzwischen ausgeweitet. Auch der Jemen, Syrien, Irak und andere Länder sind inzwischen involviert. Luftschläge gegen den IS bezeichnet Zumach  nicht nur als  völkerrechtswidrig, sondern auch einfach als „ein völlig falsches Mittel“. Durch  Bomben lassen sich Terrorgruppen nicht erfolgreich bekämpfen. Und wer Bodentruppen schickt, muss mit  jahrelangen Kampfhandlungen, hohen Kosten und noch mehr Toten und traumatisierten Zivilisten und Soldaten - auch in den eigenen Reihen - rechnen. Der Krieg verschlingt zudem gewaltige Geldsummen, welche dann für den notwendigen zivilen und wirtschaftlichen Aufbau eines krisenerschütterten Landes, die Sicherstellung von Nahrung, Wohnen, Bildung und Arbeit für die Bevölkerung fehlen.

„Wenn man die Ausbreitung und Stärkung des IS verhindern will, muss man diesen Krieg beenden“ ist Zumach überzeugt und fordert das Ende jeglicher Form von Kriegsbeteiligung und Einmischung. Diese Überzeugung teilen auch wir Sennfelder Grünen. Es muss Schluss sein mit Luftangriffen und Waffenlieferungen oder anderweitige militärische Unterstützung an den IS und andere Kriegsbeteiligte. Die militärische Ausbildung von Kämpfern in Kriegsregionen muss eingestellt werden. Ölgeschäfte mit dem IS müssen ebenso verhindert werden wie die Einreise von IS-Kämpfern nach Europa oder die Ausreise von terrorbereiten Europäern nach Syrien. Auch die Regierungs- und Oppositionsgruppen in Syrien sollten nicht mit Waffen oder Kämpfer unterstützt werden. Wer eine Kriegspartei unterstützt muss damit rechnen, von der Gegenseite zum Feind erklärt und selbst zum Ziel von militärischen oder terroristischen Angriffen zu werden. So holen wir uns aktiv den Terror ins eigene Land.

Mit der militärischen Strategie steigt die Gefahr, dass sich zu bestehenden Konflikten noch weitere gesellen. Denken wir z.B. an das Verhältnis zwischen der Türkei und dem Irak. Die Türkei hat illegal irakisches Gebiet besetzt, um so letztlich auch ihren langjährigen Kampf gegen die Kurden fortzusetzen. Wie lange wird sich dies der Irak gefallen lassen? Und wer kann sicherstellen, dass  finanzielle Mittel, die Europa der Türkei zur Versorgung von Flüchtlingen und zur Grenzsicherung zur Verfügung stellt, nicht auch zur Finanzierung des türkischen Kampfes gegen die Kurden genutzt werden? Auch der Konflikt zwischen der Türkei und Russland könnte sich ausweiten. Die Kriegsfronten sind schon lange nicht mehr klar und die Erfahrungen auch in anderen Kriegsregionen in der Welt zeigen: Die militärische Unterstützung einer Kriegspartei kann sich auch zum berühmten ´Schuss nach hinten´ entwickeln, wenn der ehemalige „Freund“  zum Feind wird.   

Nur wenige Journalisten und Politiker besitzen den Mut, die Rolle der USA bei der Entstehung des IS klar zu benennen. Andreas Zumach nimmt im o.g. Interview kein Blatt vor den Mund, wenn er klärt: „Die Amerikaner haben mit den Engländern 2003 einen völkerrechtswidrigen Krieg im Irak begonnen. Nach dem Sturz Husseins haben sie alle Sunniten im Land von allen öffentlichen Posten enthoben. Vom General in Bagdad bis zur Postbeamtin im Hinterland. Das ist ein grandioser Fehler einer Besatzungsmacht, der den Briten in 400 Jahren Kolonialgeschichte nie passiert ist. Die wussten genau, dass sie einen Teil der lokalen Eliten brauchen, um ein Land unter Kontrolle zu halten.“ Die sunnitischen Aufstände gegen die amerikanische Besatzungsmacht bekämpften die USA, indem sie schiitische Milizen bewaffneten. Zumach nennt dies einen „Fehler der Folgen hatte“. Statt einer Befriedung der Region sei erreicht worden, dass eine Art Schutztruppe der Sunniten entstand, die Zumach als „Vorläufer des IS“ bezeichnet.

Wenn es den USA und ihren Verbündeten wirklich um Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit ginge, müssten sie in Syrien und in vielen anderen Ländern aufhören Krieg zu führen, völkerrechtswidrig zu handeln und Eigeninteressen über Friedensinteressen zu stellen. Deutschland darf sich nicht zum Handlanger von jenen machen, die Krieg führen, um Machtpolitik zu betreiben. Außerdem wird deutsche Entwicklungshilfe konterkariert, wenn unser Land durch eine Kriegsbeteiligung – in welcher Form auch immer - mit dazu beiträgt, dass Städte und Dörfer zerbombt, Landstriche vermint, Krankenhäuser, Schulen und andere wichtige Infrastruktur sowie regionale Wirtschaftsstrukturen zerstört werden. Der Krieg auf syrischem Staatsgebiet gegen den IS ist ein Verstoß gegen die  UN-Charta, in welcher die  Souveränität und die territoriale Integrität von gleichberechtigten Staaten festgeschrieben wurde. Übrigens: Die USA würde ihrerseits eine solch massive Einmischung in ihre eigenen innerstaatlichen Angelegenheiten niemals zulassen!

Statt Krieg zu führen muss alles getan werden, damit die Bereitschaft aller Konfliktparteien wächst, sich zusammenzusetzen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen, die tatsächlich zur Befriedung der Länder beitragen. Sicherlich hat Zumach Recht, wenn er sagt, dass der IS gar kein Interesse daran hat, sich an den Verhandlungstisch zu setzen, da er im Gegensatz zu anderen Terrorgruppen keine politischen Forderungen formuliert, sondern mit allen Mitteln die Errichtung eines eigenen Staates vorantreibt. Aber der syrische Staatspräsident, Regierungsvertreter, Oppositionsgruppen …. könnten motiviert werden, sich an einen Tisch zu setzen. Die Lösung, die am Verhandlungstisch von allen Beteiligten der Region erarbeitet wird, müsste dann auch international  akzeptiert werden – auch wenn sie nicht den Vorstellungen und Interessen der Westmächte entspricht.

Wer auf Krieg setzt, gießt Öl ins Feuer des IS und trägt dazu bei, dass sich immer mehr Menschen aus der Region in und um Syrien auf den Weg nach Europa machen, um hier in Frieden leben zu können. Statt die Unterstützung von syrischen Flüchtlingen, die in Jordanien und im Libanon in großer Zahl Zuflucht gesucht und gefunden haben, langfristig sicherzustellen, hat die UN ihre anfängliche Unterstützung dort komplett eingestellt. Die westliche Welt hat die Augen vor einer humanen Katastrophe lange Zeit verschlossen, weil sie selbst nicht unmittelbar betroffen war. Erst jetzt, nachdem viele Flüchtlinge in Europa ankommen,  sehen sich die europäischen Länder, Deutschland inklusive, zum Handeln genötigt.

Angesichts des aktuellen Flüchtlingsdramas wäre es einmal mehr an der Zeit, effektive Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen, die für mehr Gerechtigkeit in den internationalen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen sorgen sowie den Schutz der Menschenrechte und den Klimaschutz aktiv voranbringen. Solche Maßnahmen gehören zu den sicherlich effektivsten und nachhaltigsten Mitteln, um Fluchtursachen zu beseitigen und Frieden in die Welt bringen.

Vielleicht sind wir Deutsche aufgrund unserer nationalsozialistischen Vergangenheit besonders anfällig dafür, den Krieg als Weg zum Frieden zu betrachten. „Wo stünden wir heute, wenn das Hitler-Regime damals nicht mit militärischen Mitteln gestoppt worden wäre?“ Mit dieser Frage wird der Krieg oft als alternativlose Maßnahme  gerechtfertigt. Man könnte aber auch fragen: „Was wäre gewesen, wenn Hitler keine Verbündeten gefunden hätte? Wenn sich die deutsche Rüstungsindustrie geweigert hätte, Hitler und seinen Getreuen Waffen zu liefern? Wenn damals die Opposition und die Pressefreiheit in Deutschland von innen und außen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gestärkt und die Propaganda-Maschinerie Hitlers geschwächt worden wäre?“ Auch der nichtmilitärische Kampf gegen Hitler hätte sicherlich viele Opfer und auch Menschenleben gekostet. Aber vielleicht hätte es dann nicht weltweit unermessliches  Leid und Zerstörung und Millionen Tote gegeben. Und man hätte vielleicht aus der Geschichte die Lehre gezogen, dass ein Gewalt-Regime auch ohne militärische Mittel wirkungsvoll bekämpft werden kann, wenn man im Rahmen einer internationalen und nationalen Zusammenarbeit alle zur Verfügung stehenden anderen Mittel auch tatsächlich und konsequent anwendet.

Wir hoffen, die GRÜNEN bleiben bei ihrem NEIN zur erneuten Kriegsbeteiligung und tragen im Rahmen ihrer Möglichkeiten dazu bei, dass international nicht nur die Terrorbekämpfung  betrieben wird, sondern auch nachhaltig an der Beseitigung der Ursachen von Terror und Flucht gearbeitet wird.

 

Mit vielen Grüßen aus der Basis

Rita Weber im Namen des Ortsverbandes Sennfeld

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